Alt aber aktuell: Auch der pflichtteilsberechtigte Miterbe hat ein Vermächtniskürzungsrecht
Der Bundesgerichtshof (BGH) befasste sich in einem Urteil mit der Frage, ob und inwieweit ein pflichtteilsberechtigter Miterbe ein Vermächtnis kürzen darf, wenn neben Vermächtnissen auch Pflichtteilslasten auf ihn zukommen. Der Erblasser hatte in seinem notariellen Testament die beiden ehelichen Söhne je zur Hälfte zu Erben eingesetzt, während das nichteheliche Kind lediglich einen Pflichtteilsanspruch geltend machen konnte. Im Nachlass befand sich ein hälftiger Miteigentumsanteil an einem Hausgrundstück, und der Erblasser hatte mehrere Vermächtnisse zugunsten der Klägerin ausgesetzt, darunter ein Wohnrecht bzw. ein Ersatzvermächtnis in Höhe von 150.000 DM, das sich bei Nutzung des Hauses monatlich um 500 DM verringerte. Die Klägerin hatte das Haus sechs Monate kostenfrei genutzt und forderte daraufhin 147.000 DM vom Testamentsvollstrecker, der die Zahlung mit Verweis auf mögliche Nachlassinsuffizienz ablehnte.

In der Sache wies der BGH darauf hin, dass § 2318 III BGB nicht nur dem pflichtteilsberechtigten Alleinerben, sondern auch dem pflichtteilsberechtigten Miterben ein Kürzungsrecht an Vermächtnissen einräumt, wenn durch das Zusammentreffen von Vermächtnissen und Pflichtteilsansprüchen die Gefahr besteht, dass dem Miterben weniger als sein eigener Pflichtteil verbleibt. Dieses Kürzungsrecht steht dem Miterben nicht nur im Außenverhältnis gegenüber Dritten, sondern auch im Innenverhältnis der Miterben zu. Das BerGer hatte dies verkannt und war davon ausgegangen, dass der Miterbe die Vermächtnisse grundsätzlich auch auf Kosten seines Pflichtteils voll tragen müsse, soweit er die Erbschaft nicht ausgeschlagen habe. Der BGH betonte jedoch, dass § 2318 III BGB dem Miterben ermöglicht, Vermächtnisse um den Betrag zu kürzen, um den die Pflichtteilslasten seinen eigenen Pflichtteil zusätzlich beeinträchtigen würden. Dabei ist die Anwendung des § 2318 III BGB auf den Fall beschränkt, dass der Miterbe einen Erbteil erhalten hat, der größer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, und diesen trotz Beschränkungen nicht ausgeschlagen hat. In diesem Fall muss er zwar die Vermächtnisse grundsätzlich auch auf Kosten seines Pflichtteils tragen, kann aber bei zusätzlichen Pflichtteilslasten das Vermächtnis entsprechend kürzen.

Der BGH hob hervor, dass die Regelung des § 2319 BGB, die den Miterben vor dem Zugriff eines Pflichtteilsgläubigers schützt, nicht ausreicht, wenn neben Pflichtteilslasten auch Vermächtnisse bestehen. In diesem Fall bleibt Raum für die Anwendung des § 2318 III BGB, um den Miterben vor einer übermäßigen Belastung zu schützen. Die Kosten der Testamentsvollstreckung bleiben bei der Berechnung des Pflichtteils grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Testamentsvollstreckung kommt auch dem Pflichtteilsberechtigten zugute. Das Urteil wurde im Umfang des Revisionsantrags aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der BGH stellt somit klar, dass das Kürzungsrecht nach § 2318 III BGB auch bei Erbenmehrheit anwendbar ist und dem pflichtteilsberechtigten Miterben Schutz vor einer übermäßigen Belastung durch das Zusammentreffen von Vermächtnissen und Pflichtteilslasten bietet. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung eines ausgewogenen Ausgleichs zwischen den Interessen der Vermächtnisnehmer und der pflichtteilsberechtigten Miterben im deutschen Erbrecht.
BGH, Az.: IV a ZR 151/83, Urteil vom 10.07.1985, eingestellt am 15.06.2025